Ubud – kulturelles Zentrum der Ruhe und des absoluten Chaos‘
„Now he angry!“ Piri wirft mir mein Handy fast entgegen und drängt: „quickly cancel the booking!“. Ihr balinesischer Akzent macht die Situation nicht weniger angespannt. Ich tippe wild auf meinem Handy herum und finde schliesslich die rote Fläche auf der Gojec-App, um den Fahrer zu stornieren. Kurz vorher hat sie den Fahrer so wütend angeschrien, das hätte ich der sonst so ruhigen Nanny nicht zugetraut. Er habe sie beleidigt und angeschrien, weil ich die Stecknadel falsch gesetzt habe. Und er wollte uns nicht einmal suchen kommen, obwohl wir ein Kind dabei haben. Piri findet das eine Frechheit. Bestimmt sei er auch so gemein, weil sie mit ihm Balinesisch gesprochen habe. Wir buchen einen neuen Fahrer und Piri will ihn gleich anrufen. Mit ihrem gebrochenen Englisch, fragt sie ihn, ob er uns finden kann. Der Fahrer antwortet mit noch schlechterem Englisch, dass er leider nicht so gut Englisch kann. Das Ganze geht ein paar Mal so hin und her und dann wechselt sie doch wieder in ihre Muttersprache und die beiden sprechen ganz schnell miteinander. Ich verstehe, dass sie dem neuen Fahrer die Geschichte vom alten Fahrer erzählt und dabei noch mal durch alle Emotionen geht. Ich schaue auf die Uhr, seit fast einer Stunde versuchen wir von der Poolbar zum Spielplatz zu kommen und kommen einfach nicht weg. Der Weg ist nicht einmal 5km, doch die Fahrt dauert nach der langen Wartezeit immer noch fast eine halbe Stunde. Nun sind wir aber endlich auf dem Spielplatz und Piri setzt Luna auf ein Karrussel, der Besitzer startet den Motor und ich habe endlich Zeit neben dran die letzten Tage hier zu reflektieren.
Ubud soll das kulturelle Zentrum von Bali sein und das Zentrum für Wellnesss.. voller Yoga-Studios, Vegi-Restaurants, ein Ort der Heilung mit besonderen Zeremonien umgeben von Natur… unglaublichen Wasserfällen und Reisfeldern.
Für mich steht Ubud im Moment für Chaos und Verkehr und vorallem Verkehrschaos. Und ich will hier weg, aber ich kann nicht. Ubud verspricht so viel und ich habe noch so wenig gesehen. Irgendwie habe ich das Gefühl, es gibt noch etwas zu entdecken. Doch der Verkehr treibt mich in den Wahnsinn.
Schon am ersten Tag wollte ich mit Luna im Tragi vom Hotel zu Fuss ins Zentrum gehen. Laut Google Maps waren es auch nur 10 Minuten. Doch von den fehlenden Trottoirs, den wenigen Vorhandenen mit riesigen Löchern und herunterhängenden Kabeln stand keine Warnung auf Google Maps. Eigentlich wollte ich in ein hippes Restaurant weiter im Zentrum, aber nachdem ich mich von einem Polizisten über die Strasse führen liess, weil hier Fussgängerstreifen lediglich als Strassendekoration dienen, springe ich einem Mottorrad aus dem Weg in das erstbeste Restaurant und bleibe dort. Luna aber kriegt ihre Pasta mit Pesto und ist seelig.
Neben dem Verkehr gibt es hier noch einen weiteren sehr überraschenden Stressfaktor. Schmetterlinge. Ja, Schmetterlinge. Oder wie Luna und ich sie nennen: Schmettermonster. Sie haben eine Flügelspannweite von bis zu 30cm und Beine wie Vogelspinnen. Wir verarbeiten beide noch den Schock, als im Schmetterlingszentrum ein Mitarbeiter ein solches Exemplar (ungefragt) auf meine Schulter gesetzt hat. Ich weiss nicht, wer von uns Dreien lauter geschrien hat. Luna oder ich? Oder der erschrockene Mitarbeiter? Luna verarbeitet das Erlebnis noch immer mit Schmetterlingsliedern „Schmetterling, du grosses Ding“, oder sie will meine Schulter verarzten, weil dort ein Schmettermonster drauf getrampelt ist. Und ich denke beim Einschlafen immer wieder mal mit einem Schaudern an diese extrem dicken Schmetter-Schenkel.
Wayan hat uns am ersten Tag den Tegenungan Wasserfall gezeigt. Dieser Touristenhotspot war eine irritierende Mischung aus Nationalpark, Disneyland und Papillorama. Laut dröhnende Partymusik, Frauen in langen bunten Kleidern auf den berühmten Bali-Swings und so viele Leute, dass man den Wasserfall dahinter fast nicht sehen konnte. (Zum Glück aber keine Schmettermonster). Wayan hat sich Sorgen gemacht, dass ich mit Luna auf dem Rücken nicht wieder die Treppe hochkommen werde und extra am Ticketschalter nachgefragt, ob man mir das zutrauen kann. Luna und ich wohnen im dritten Stock in Bern und es scheint, als wäre jedes Einkaufstaschenschleppen mit Kleinkind im Arm eine Vorbereitung für genau diesen Tag gewesen. Die Treppen sind tatsächlich kein Problem, nur die schwüle Luft erschwert den Aufstieg.
Ich mache am nächsten.Tag eine Fahrradtour mit Rädern , die doppelt so breit wie mein Fuss sind. Wir sehen die berühmten Reisterrassen und ich habe meinen ersten kleinen Julia Roberts Moment (Eat, Pray, Love). Nur dass mich nicht ein Auto fast über den Haufen fährt, sondern jedes Zweite. Und es steigt auch kein hübscher Portugise aus. Wobei die Geschichte für die Protagonistin im echten Leben auch nicht bei dem Happy End bleibt. Eat, Pray, Love basiert auf dem Leben der Autorin Elisabeth Gilbert. Sie lässt sich von José Nunes (Felipe im Buch) scheiden, trifft dann aber nochmals auf die nach ihr „wirklich grosse Liebe“. Sie verliebt sich in ihre beste Freundin Rayya Elias, welche ein Jahr später an Krebs stirbt. Auch Bali bringt im echten Leben nicht immer ein Happy End.
Larry, mein aktueller Tour Guide, hingegen findet, Bali gibt dir immer Antwort. Du musst nur einen ruhigen Ort finden und genau hinhören. Alles ist hier so lebendig, die Bäume, das Wasser, die Erde.. Gemeinsam besuchten wir Wasserfälle und einen Vulkan. Sie gaben mir aber noch keine Antworten, vielleicht habe ich aber auch nicht gut genug hingehört. Dafür habe ich endlich mehr von dem wirklichen Charmes von Ubud entdeckt und eine neue Mission. Zuhören.
Morgen wage ich mich nun doch weiter in den Norden auf der Suche nach Stille und vielleicht sogar Antworten.
Heute aber beschäftige ich mich noch mit den Fragen des Lebens und dem Datingleben meiner Nanny, die nicht nur in den letzten Tagen immer wieder eine grosse Unterstützung war, sondern auch eine Art Freundin wurde.

