Sidemen oder: Wasserfälle, Reisfelder, explodierende Windeln und blaue Flecken

Überall um mich liegt Schnee. Aber wie kann das sein? Wenn der Bildschirm auf meiner Smartwatch nicht so leuchten und vibrieren würde, stünde in der Ecke links unten bestimmt „31 Grad“.

Ich lese auf dem Bildschirm „Es scheint, dass Sie gestürzt sind. Sollen wir den Notruf alarmieren?“ ein Countdown beginnt und ich bin kurz unsicher, ob ich zuerst das stoppen soll oder mein pochendes Knie anschauen soll. Ich entscheide mich zuerst nach Luna zu sehen und schaue ihren Hinterkopf an, während ich dann doch gleichzeitig auf meine Uhr haue, bis es aufhört. Schon steht eine Australierin neben uns und hält Luna einen Sack mit Eis an den Kopf. Luna weint zwar, aber es klingt mehr nach einem Schockweinen. Sie beruhigt sich auch rasch und ich sehe jetzt, was meinen Sturz auf Luna abgebremst hat. Die Windel, die sie zuvor beim spontanen Baden in Kleidern trug und sich mit Wasser vollgesogen hatte, war wie ein Kissen. Und das Kissen ist durchs halbe Restaurant explodiert. Das Saugmaterial sieht aus wie glitschiger Schnee. Neben der Windel hat wohl doch auch noch einiges mein Knie abgeferdert. Ich schaue es an, als Luna sich beruhigt hat und von der Ladenbesitzerin ein Glas Wasser erhält. Das Knie ist aufgeplatzt und es zeigt sich schon, wo der blaue Fleck sein wird. Apropos blau, der kleine Zeh am anderen Fuss wird im Verlaufe des Tages immer geschwollener und blauer. Keine Ahnung, wie der in dem Sturz über die Stufe verwickelt war.

Ich gehe zurück zum Hotel und erhalte ein wenig humpelnd und dankend Hilfe mit dem Gepäck von der Familie. Der Tourguide trifft auch schon ein und ich mache das einzig Logische nach so einem peinlichen Sturz. Ich fahre zum Wasserfall und teste, ob ich auch mit blauem Zeh und pochendem Knie eine 100 Stufen Treppe bezwingen kann. Und ich kann. Der Tourguide besteht zwar darauf, dass wir vorher noch bei einer Apotheke stoppen und schmiert mir eine stinkende Salbe auf mein Knie. Ich weiss nicht, ob es an der brennenden Salbe oder an meinem Willen liegt, aber ich kann alle Stufen zum Wasserfall gehen und Luna läuft sogar auch einen grossen Teil allein. Und es lohnt sich. Wir haben den tieferen Wasserfall die meiste Zeit für uns und Luna liebt es in den kleinen Badewannen zu planschen. Und die Sicht in den Dschungel ist atemberaubend.

Gembleng Wasserfall

Auf der langen Fahrt entdecken Luna und ich unsere Liebe für „Molen“. Luna findet, es sind wie kleine Schoggi-Gipfeli, ich finde sie sind eher wie Samosa, gefüllt mit Schokolade. Der Fahrer hat sie uns bei einem Streetfood-Stand der ganz sicher „clean“ sei, gekauft. Egal, was es ist. Sie sind heute sehr tröstend. Auch tröstend ist die unglaubliche Aussicht auf die Reisfelder von Sidemen. Wir verbringen den Rest des Tages im Koli Koli Restaurant und Luna geniesst den kleinen Privatpool vor unserem Tisch.

Koli Koli – Sidemen

Am nächsten Tag erwache ich in einem wunderschönen Zimmer Mitten in einem traditionell balinesischen Haus. Die Dusche befindet sich im Garten und ist umgeben von einer Mauer. Ich geniesse eine Dusche im Freien im direkten Sonnenschein und würde am liebsten nie mehr anders duschen (bis ich am Abend eine gigantische Kakerlake als Gast im Badezimmer habe…). Die Hunde Coco und Vogu begrüssen Luna und mich am Morgen. Die Mutter steht schon im Küchenhaus und fragt, was wir frühstücken möchten. Währenddem sie uns eine Omelette kocht, erzähle ich ihr, dass ich eine Wanderung durch die Reisfelder machen möchte. Sie meint, dass kann ich doch unmöglich allein machen; „What if you fall?“. Dagegen kann ich nicht viel erwidern mit dem offensichtlich aufgeschlagenen Knie und sie ruft ihren Mann, der widerum seinen Neffen anruft und uns sagt, der Neffe holt uns in 30 Minuten ab. Eine Stunde später sitzen Luna und ich mit dem Vater der Familie, bei der wir wohnen, im Auto. Der Neffe habe heute keine Zeit. Also bringt er uns zum Reisfeld und besteht sogar darauf uns den ganzen Weg zu begleiten. Ich schätze seine Begleitung nicht nur, als er mir alles über Reis erzählt, was er weiss, sondern auch als sich auf der kleinen Brücke unter mir plötzlich alle Bretter heben und ich seine stützende Hand sofort dankend entgeben nehme.

Reisfelder – Sidemen

Die Nacht ist lange und Luna schläft erst um 2:00 nach langem Weinen ein. Als der Fahrer am nächsten Morgen in den Innenhof kommt, bin ich noch nirgends mit Packen. Er sieht meine Augenringe und zündet sich eine Zigarette an. Ich erzähle ihm, dass ich trotz schlechter Nacht beim Plan bleiben möchte und die Fledermaushöhle sehen möchte. Die Mutter ruft etwas aus der Küche, der Fahrer antwortet, dann schaut er mich an und fragt mich, ob ich gerade meine Periode habe. Die Mutter schaut zu mir, ihr kleiner Sohn lässt die Gabel sinken und schaut auf, sowie die Franzosin vom Tisch daneben und ich schwöre sogar die Hunde starren mich erwartungsvoll an. Nein, danke der Nachfrage?

Auf dem Weg zur Fledermaushöhle sehen wir endlich das Meer wieder und ich sage dem Fahrer, dass ich unbedingt schnell an den Strand muss.

Luna baut eine Sandburg mit dem Fahrer und ich begrüsse nach langem wieder Mal das Meer.

Später erfahre ich vom Fahrer, dass die Fledermaushöhle Teil von einem Tempel ist und in der Tat ist es der heilligste Ort, am dem ich auf dieser Reise bisher war. Luna und ich werden gemeinsam in einen Sarong gewickelt und überall stehen Schildern mit Verhaltensregeln. Unter anderem auch, dass Frauen während ihrer Periode nicht in den Tempel dürfen. Andere Länder, andere Sitten. Aber ich frage mich, an welchen Tagen die Männer aus ihren Tempeln ausgeschlossen werden..

Pura Goa Lawah

Nach dem Tempel essen wir in einem Warung mit schönem Garten. Wir probieren: Baquan, Chap Chai und Emping… alles köstlich. Nur die scharfe Sauce hat es in sich, aber Luna hat sehr schnell auf Bali gelernt, solche Saucen von Ketchup zu unterscheiden! 😂

Dann holen wir in Sanur meine Nanny-Freundin ab und die verbleibende Stunde Autofahrt ist einfach nur witzig. Zwischendurch sprechen sie und der Fahrer zusammen indonesisch, versuchen die Pointe richtig zu übersetzen, google translate hilft, dann reden wir wieder alle gemeinsam und es ist, wie mit Freunden unterwegs zu sein. Im Hotel helfen sie mit Luna und dem Gepäck und irgendwie sind wir wie eine grosse Familie.

Anschliessend trinken wir etwas an der Poolbar während Luna im seichten Wasser spielt. Die Nanny schaut zu Luna, ich schreibe an meinem Blog und der Fahrer plant den morgigen Tag für seine nächsten Kunden. Plötzlich ruft Prili: „We have a problem!“. Luna hat tatsächlich ein Gagi ins Pool gemacht. Prili findet, wir tun einfach so, als wäre nichts passiert. Aber der Fahrer überzeugt mich, dem Personal Bescheid zu geben. Ich sterbe dreimal vor Scham, aber die Frau reagiert überraschend gelassen und sagt der Pool wird eh in der nächsten Stunde gereinigt.

Am nächsten Tag bekomme ich endlich meine erste balinesische Massage. Es ist das erste Mal, dass ich Luna allein mit Prili lasse, ohne in direkter Sichtweite zu sein. Aber wir vertrauen uns mitlerweile Geheimnisse an und ich habe ein gutes Gefühl Luna mit ihr zu lassen. Luna mag sie auch sehr.

Die ersten 10 Minuten der Massage im 5. Stock mit dem offenen Fenster zum Hotelinnenhof höre ich ein Kind schreien. Ich denke ständig: „Bitte lass es nicht meins sein!“. Es hört auf und ich entspanne während einer unerwartet schmerzhaften Massage. Als die Masseurin meine Zehen knackt, lache ich aber so laut, dass sie selbst mitlacht.

Erholt komme ich nach 60 Minuten aus dem Spa und sehe auf mein Handy. „I have problem.“ steht in der Nachricht von Prili, welche sie erst vor wenigen Minuten geschickt hat. Meim Herz beginnt zu klopfen. „Did Luna poop in the pool again?“ schreibe ich ihr und schwitze. Nein, aber so ein Typ habe sie angequatscht und sie wollte ihn loswerden und sie hat behauptet Luna sei ihre Nichte und ihr Freund sei aus Deutschland und ich bin die Schwester von ihrem Freund. Der Mann könne Deutsch, so wie ich ja auch, oder. Sie wollen mich jetzt kennenlernen. Im Lift überlege ich mir, wo in Deutschland ich wohne und ob mein Schweizer Akkzent nicht sowieso zu offensichtlich ist. Prili sitzt neben Luna, die zufrieden im seichten Wasser ihr Bébé im Schwimmring umherschiebt. Ich gehe neben Prili in die Hocke: „WTF Prili? I was only gone for 1h!?“ und wir prusten beide los. Ich werde schliesslich doch noch vorgestellt, ich wohne in Konstanz, was sie glücklicherweise nicht kennen, da sie in Holland 20 Minuten vom anderen Ende von Deutschland wohnen und weder ich noch Prili blamieren uns.

Morgen geht es weiter nach Uluwatu.

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