Der ganz normale Wahnsinn – am anderen Ende der Welt

War das ein Fehler? Ich schaue auf die braune Kotze in meinen Händen. Ich denke an die letzten 24h. Wobei das schwierig ist mit all den Zeitzonenverschiebungen. Auf jeden Fall war die Reise lange und wahnsinnig anstrengend..

Eine Freundin und ich beschreiben den Alltag als Mutter oft als „den ganz normalen Wahnsinn“. Was für eine Art von Wahnsinn ist es dann, wenn ich allein mit einem Kleinkind auf einen 16h Flug ans Ende der Welt reise?

10:05 Uhr, der Zug fährt in einer halben Stunde los. Luna sitzt schon in der Tragehilfe und schreit lauthals, dass wir nicht ohne Kalla gehen können. Ich seufze und gebe ihn ihr. Immerhin hat sie vorhin eingesehen, dass die Muffinförmchen nicht mit nach Indonesien kommen können. Als ich mich bücke, um das kleine Eichhörnchen aufzuheben, merke ich wie schwer der Reiserucksack wirklich ist. Beinahe falle ich hin. Beinahe – es geht also. Das Tragetraining im Sportgeschäft mit Telefonbüchern im Rucksack hat sich also gelohnt.

Als wir am Bahnhof auf der Plattform ankommen, reisse ich den halben Reisverschluss meiner Bauchtasche ab. Ich trage sie seit einem Jahr jeden Tag mit mir. Und heute, als ich mich auf eine einmonatige Reise mache und sie für das sichere Aufbewahren meiner Wertsachen brauche, da reisst sie. Natürlich. Ich zucke mit den Schultern und biete Luna ein Stück Gurke an. Der Zug fährt ein und ich falle nochmals fast hin, als ich den Rucksack wieder auf meinen Rücken schwinge. Eine ältere Frau bietet mir ihre Hilfe an. Ich lache und lasse sie mir helfen. Gemeinsam erklimmen wir die steile Zugtreppe und sie wünscht mir „Bon courage“. Im Zug kontrolliert ein Mann die Tickets. Ich zeige ihm mein Ticket, welches ich gerade vor fünf Minuten gelöst habe. Er antwortet nicht sofort und ich frage verunsichert „Oder ist etwas falsch?“. Er schüttelt den Kopf und geht weiter. Warum bin ich so schnell verunsichert? Ah ja, ich mache die Reise nicht nur wegen den schönen Stränden. Das letzte Jahr war echt mies. Ich brauche diese Reise für mich. Ich lasse den Selbstvorwurf los und konzentriere mich darauf eine entspannte Zugfahrt nach Basel zu haben. Luna singt und erzählt, dass sie sich auf das „Sändele“ freut. Ich schaue nochmals in Luna‘s Tasche und lächle. Darin ist ein Badekleid, ihre Kopfhörer und ein Sack geschnittener Gurken. Sie hat doch recht, warum auch packe ich so viel ein. Wobei ein Rucksack und ein Handgepäck auch nicht überrissen viel ist, wenn man bedenkt, dass es für zwei Personen ist und eine Person noch ein eigenens kleines Klo und einen Sack Windeln mitführt.

Als ich in Frankreich vor dem Flug einen Kaffee und zwei Cookies holen will, merke ich, dass alle meine Kärtchen nicht funktionieren. Meine Bankkarte wird abgelehnt und die Kreditkarte habe ich zu spät aufgeladen. Ich habe Bargeld, aber es reicht nur für den Kaffe und einen der Cookies. Die Frau besteht darauf, uns den zweiten Cookie zu schenken.

Luna schläft fast den ganzen Flug bis nach Amsterdam und ich habe wunderbar Zeit mir darüber Gedanken zu machen, dass ich tatsächlich ans Ende der Welt fliege und es anscheinend geschafft habe, kein Geld dabei zu haben. In Amsterdam haben wir 5 Stunden Aufenthalt. Bei einer Kontrolle trage ich Luna auf dem Arm und versuche mühsam mit der anderen Hand den kaputten Reisverschluss meiner Bauchtasche zu erwischen. Eine Flughafenmitarbeiterin spricht mich in einem strengen Ton an. „Do you want the buggy?“ Ich schaue ihrem Finger nach auf einen metalligen Kinderwagen mit einem Schiphol-Fähnchen. „You are not allowed to have the buggy.“ Ich schaue sie verwirrt an. „Do you want it?“ ich antworte: „yes?“. Sie lächelt fast: „Ok, I let you have the buggy.“

Dankbar schiebe ich den Buggy durch den Flughafen, als ich eine Lösung für mein anderes Problem gefunden habe. Während wir auf einem Fahrband tuckern, mache ich eine 3D Authentifizierung der Mirgosbank. 5 Minuten später habe ich eine digitale Karte zur Überbrückung und kann uns während der Wartezeit eine Flasche Wasser kaufen.

Reisen mit einem Kleinkind ist (wenig überraschend) aktiver als ohne. Wir verbringen viel Zeit mit spazieren und spielen lange in einem Kinderflugzeug. Das Klettern durch glatte Steinröhren mit Kompressionsstrümpfen kann ich aber nicht empfehlen, ansonsten hatten wir eine gute Zeit. Als wir gegen 21:00 Uhr endlich im Gate auf das Flugzeug warten, bin ich doch etwas erschöpft. Nur noch 15h und dann sind wir auf Bali! Nach einer Stunde findet Luna, sie habe genug vom Flugzeug und würde jetzt gerne aussteigen. Nachdem ich ihr erklärt habe, dass wir in dem Flugzeug schlafen, und sozusagen eine Flugzeug-Pyjamaparty machen, ist sie aber wieder zufrieden und macht den ganzen Flug unglaublich gut mit. Sie schläft viel und zu meiner grossen Überraschung – ich auch.

Der Zwischenstopp in Singapur ist angenehm und es reicht uns zu einem Kaffeeautomaten, der Hafermilch führt und Luna und ich geniessen ein Cappuccino und ein Cino (Luna‘s Wort für Babycino). Als wir 2,5h später in Bali ankommen, läuft auch wieder alles nach Plan. Alle Dokumente stimmen und wir kommen rasch durch die Kontrollen. Mittlerweile funktioniert auch die Kreditkarte wieder und wir bestaunen ein paar bunte Kunstwerke. Nun nur noch kurz den Rucksack holen und dann ab zum Hotel.

Wir warten und… wir warten… und Luna isst einen ganzen Schokoladenriegel und wir warten und warten… und ich sehe ein, dass der Rucksack nicht kommen wird. Wir gehen also zum Luggage Service und nachdem die Frau am Schalter mir kurz ein paar Fragen gestellt hat, sagt sie freundlich: „I would like to inform you, that some of your luggage is still in Amsterdam, Ma‘am.“ no shit.

Ich atme tief durch, bedanke mich für die Information und schreibe ihr meine Hamdynummer auf einen Zettel. Dann kontaktiere ich meinen Taxifahrer. Wayan schreibt sofort zurück, er warte immer noch draussen. Als Luna und ich von der schwülen Luft fast erschlagen werden, laufen wir durch eine umzäunte Allee, wo ganz viele Leute mit Schildern mit Hotel- und Gästenamen stehen. Ein bisschen überwältigt von diesem Redcarpet-Moment laufen wir immer weiter bis wir unseren Hotelnamen lesen. Wayan winkt freundlich. Er begleitet uns ins Parkhaus und holt das Fahrzeug. Tatsächlich hat er einen altersgerechten Kindersitz installiert. Ich nicke erstaunt. Wayan erzählt mir ein wenig von den Überschwemmungen von vor zwei Wochen, aber dass das Wetter nun wieder viel besser sei.

Das Hotel, welches ich für unsere ersten Tage auf Bali gewählt habe, ist absolut gigantisch und überwältigend. Die Rezeption sieht aus wie ein riesiger Tempel und die ganze Anlage wie ein eigener Themenpark. Ein Mitarbeiter im Sarong begleitet uns durch einen langen offenen Gang mit Statuen nach hinten, über eine Brücke durch zwei Gärten und einen Stock tiefer zum Zimmer. Luna rennt freudig ins Zimmer, sieht auf dem Sofatisch eine Praline, steckt sich diese in den Mund und kotzt Sekunden später in meine Hände. War das alles ein Fehler? Durchatmen, putzen. Als ich versuche Luna nach dieser langen Reise ins Bett zu tun, finde ich den Hauptlichtschalter nicht. Also laufe ich mit müdem Kind im Arm nochmal einen Stock hoch, durch zwei Gärten, über eine Brücke und einen langen Gang entlang zur Rezeption, wo ein Mitarbeiter darauf besteht es uns persönlich zu zeigen und uns wieder entlang dem Gang, über eine Brücke und durch zwei Gärten und … – ich falle kaputt ins Bett und schlafe komatös bis Luna um 3:30 Uhr erwacht und wegen des Jetlags nicht mehr schlafen kann. Sie möchte jetzt Teigwaren. Zum Glück ist in diesem Hotel kein Wunsch zu absurd und der Zimmerservice bringt Luna um 4:00 Uhr morgens einen Teller Teigwaren mit Pesto. Sie ist begeistert. Dank Luna‘s verwirrtem Rhythmus erleben wir einen wunderschönen Sonnenaufgang am Meer. Es war kein Fehler. Und wenn, dann ein wahnsinnig Guter.

Morgen verlassen wir den sicheren Palast und reisen mit Wayan Richtung Norden… Wie viel verrückter kann es noch werden?

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